Heute trennt sich unsere kleine Gruppe. Ganz besonders traurig bin ich ja um meine Holländer, die mir die Zugfahrt von Peking nach Tibet so verschönert haben. Ich möchte gar nicht daran denken, wie es mit drei unangenehmen Männern in einem Abteil gewesen wäre … Während die anderen Heim fahren bzw. noch einen Tagesausflug machen, steht uns ein Tag im Auto bevor – immer weiter Richtung Mount Everest Basecamp. Nach den ersten 300 km legen wir einen Zwischenstopp in Shigatse ein. Hier erwartet uns ein ganz besonderer Moment.
Wir sind fast schon pünktlich in der Lobby. Ich gebe meinen großen Backpack an der Rezeption ab. Mit dabei ist nur mein kleiner roter Rucksack und eine Tüte voller Wintersachen. Nach und nach kommen dann Daunenjacke, Poncho, Mütze und Thermoleggings zum Einsatz. Wir drücken unsere Reisefreunde ganz doll und quetschen uns in unseren mit Louis Vuitton-Stoffen ausgestatteten Minivan. Und mini ist er wirklich. Meine Mitbewohnerin und ich sitzen hinten, wo unsere Knie direkt an den Vordersitz stoßen. Das war es dann mit Beinfreiheit.
Los geht die Fahrt über Shigatse Richtung Mount Everst Base Camp!
Da leider schlechtes Wetter ist, entscheidet Lima, dass wir die „malerische Strecke“ erst auf dem Rückweg entlangfahren – dann hoffentlich mit Sonnenschein. Heute geht es auf dem direkten Weg, sechs Stunden lang, gerade durch zu unserem Etappenziel Shigatse, Tibets zweitgrößter Stadt. Unser selbst gewähltes Highlight des Trips ist das Mount Everest Basecamp und dafür muss müssen wir einige Kilometer zurücklegen. 640 Kilometer und 2.000 Höhenmeter in zwei Tagen um genau zu sein!
Nach Shigatse ist der Weg das Ziel!
Tatsächlich kann ich hier in Tibet sagen: Der Weg ist das Ziel. Unsere Fahrt könnte spannender nicht sein. Wir fahren durch unreale Mondlandschaften. Hier oben blüht fast nichts und es gibt nur wenig Leben. Ein paar Yak- und Schafherden. Künstlich angelegte Baumschulen. Ansonsten Berge, Schotter und Berge. Alles in Erdfarben von grau, braun, beige bis rot und schwarz. 50 Shades of Kargheit.
Zum Mittagessen gibt es heute aus Versehen nur Reis und Gemüse. Die anderen beiden haben eine Gurkensuppe bestellt – Wasser mit Gurken und Hühnchen. Nicht so nahrhaft. Irgendwie haben wir noch Kommunikationsschwierigkeiten was unsere Essensbestellungen angeht.
An der Grenze zwischen den beiden Verwaltungsbezirken Lhasa und Shigatse müssen wir durch die Grenzkontrolle. Uns begrüßen schwer bewaffnete Männer. Wir müssen alle aussteigen, unsere Pässe und unsere Permits zeigen, der Kofferraum wird kontrolliert – wir könnten ja einen Tibeter mit im Rucksack rausschmuggeln.
Kleiner Realitäts-Check: Wie Tibet von China unterdrückt wird Teil 6
Tibeter sind nicht frei. Sie sind Gefangene. In ihrem eigenen Land. Tiber besitzen keinen Reisepass. Sie dürfen nur nach China, Hongkong und Taiwan reisen. In ein anderes Land wird es eh schwierig. Es gibt in Tibet nur noch zwei Grenzen aus dem Land heraus: nach Nepal über den Friendship Highway und über den Tibet Highway nach China. Alle anderen Grenzübergänge wurden geschlossen. Selbst die Reisen innerhalb des Landes werden erschwert: Wenn Tibeter eine sehr lange Strecke in ihrem eigenen Land zurücklegen wollen, dann brauchen sie eine spezielle Erlaubnis.
Zittern um die spezielle Mount Everest-Erlaubnis in Shigatse
Gegen 15 Uhr kommen wir in Shigatse an. Noch bevor es ins Hotel geht, muss Lima eine spezielle Erlaubnis für das Mount Everest-Gebiet beantragen. Es klingt so, als bestünde auch die Möglichkeit, dass wir die im letzten Moment doch nicht bekommen könnten. Jedes Ziel hier ist eine Zitterpartie. Tibet, Mount Everest – beides kann Touristen von heute auf morgen einfach versperrt werden.
Auf jeden Fall fängt es schon einmal gut an: Wir sind an der falschen Polizeistation. In den letzten Tagen scheint die Antragsstelle für die Mount Everest-Erlaubnis umgezogen zu sein. Lima trifft vor dem Gebäude noch einen anderen Tourguide, die ebenfalls nichts von der Erneuerung wusste. Zusammen fahren wir zu einem anderen Gebäude. Einer von uns muss mit Lima mit, um zu bezeugen, dass es sich hier wirklich um eine Touristengruppe handelt. Der einzige Mann in unserer Runde „darf“ gehen.
Die Beantragung dauert eine ganze Stunde. Wir werden schon langsam nervös, als Lima samt besagten einzigen Mann endlich wiederkommt. Das Büro war brechend voll mit chinesischen Touren. Wir waren wohl die einzige Gruppe, die dieses bezeugende Reisegruppenmitglied dabei haben musste. Es ging aber alles glatt. Besagter Mann, unterschrieb, dass wir noch drei Mädels sind und alle unsere Permits dabei haben. Wir sind nun offiziell sein Harem.
Tibets Klöster Nr. 4: Tashilhunpo Monastery
Jetzt ist es schon fast 17 Uhr, aber wir haben zum Glück noch Zeit, das größte Mönchskloster in Shigatse zu besuchen: das Tashilhunpo Kloster. Eine sehr große Anlage, direkt vor ein Bergpanorama gebaut. Über den Dächern des Klosters winden sich die bunten tibetischen Gebetsflaggen den Bergrücken hinauf bis zur Spitze. Auch Gebetsmühlen schmücken den gesamten Pilgerweg.
Hier gibt es gleich zwei Besonderheiten:
Kleiner Realitäts-Check: Wie Tibet von China unterdrückt wird Teil 7
Hier lebt der Panchen Lama des aktuellen Dalai Lamas. Kurz erklärt: Beide bestimmen über die rechtmäßige Reinkarnation des jeweils anderen. Der aktuelle Panchen Lama wurde bereits von den Chinesen bestimmt. Dabei gab es schon längst einen. Der ist nur vor 24 Jahren im Alter von 6 Jahren spurlos verschwunden. Zufall? Ich denke nicht.
Nun hält also ein regimekonformer Geistlicher, der keinerlei Entscheidungskraft hat und auch vom tibetischen Volk nicht akzeptiert wird, den Titel Panchen Lama. Nun müssen wartet China nur noch darauf, bis der aktuelle Dalai Lama verstirbt. Auch wenn dieser in Frage stellt, ob eine Reinkarnation überhaupt noch Sinn macht, wird China jemanden regimekonformen Mönchen rekrutieren. Von China erzwungen, vom Volk missachtet, ohne Funktion.
Die zweite:
Die größte Buddha-Statue Tibets
In einem ganz unscheinbaren Haus steht die größte Buddha-Statue Tibets. Sie ist 26 Meter hoch, besteht aus 279 Kilogramm Gold sowie aus 150 Tonnen Messing und Kupfer. Fun Fact: In jedem Tempel stehen immer der Vergangenheits-, der Gegenwarts- und der Zukunfts-Buddha. Letzterer wird erst in 3.000, 5.000 oder 30.000 Jahren geboren. Man munkelt noch.
Und dann geschah eins meiner Tibet-Highlights
Alle Mönche eines Klosters treffen sich regelmäßig am Tag in der Versammlungshalle, um gemeinsam zu meditieren und Gebetslieder zu singen. Nur sehr wenige Tage im Jahr, sind die Türen für Touristen geöffnet. Und einer dieser wenigen Tage ist heute. Wir dürfen dabei sein, als etwa 50 junge und alte Mönche in ihren sonnengelben Kutten zusammensaßen. Umgeben von Weihrauchwolken, goldenen Buddha-Figuren und bunt gewobenen Decken. Wir lauschten ihren Gesängen, erwiderten die neugierigen Augen und wohnten diesem mystischen Moment in Stille bei. So etwas mit zu erleben ist magisch.
Wir schauen uns weiter in dem nun fast leeren Kloster um. Unzählige rote Mönchsstiefel liegen vor der Versammlungshalle. Ein Mast umwickelt von Yackfell, Gebetsflaggen und weißen Schals. Bunte Decken auf Wäscheleinen aufgehangen. Weiße Wände und bunte Fenster. Eine Blumenwiese. Enge Gassen. Mönche in roten Gewändern.
Am Ende erhaschen wir sogar noch einen Blick auf eine Gruppe von Mönchen, die gerade einen buddhistischen Tanz üben und dabei von langen Blasinstrumenten untermalt werden. Uns sprechen junge, lachende Mönche an, die unbedingt ein Foto von unserem großen Ehemann machen wollen. Mit uns Mädels lieber nicht. Sie winken uns noch lange zu, als wir uns auf dem Weg nach draußen machen.
Ein Abend in Shigatse: Restaurantempfehlung
Das war es heute auch an Programm. Wir fahren endlich zu unserem Girong Hotel. Der vordere Teil ist traditionell gehalten: schwere Holzmöbel, alles in braun mit filigranen und bunten Mustern drauf. Das hintere Gebäude ist modern: komplett verglast, Marmorböden und eine Sauna! Wir bleiben traditionell und bekommen wieder ein Zimmer mit Holzverkleidung.
Dann geht es auch direkt zum Abendessen. Dieses Mal kommen Lima UND unser Fahrer sogar mit zum Essen. Wir sitzen alles zusammen an einem Tisch, quatschen und lachen. Es ist ein von muslimischen Chinesen geführtes Restaurant. Ich wusste nicht einmal, dass Chinesen muslimisch sein können. Es gibt eine super leckere Nudelsuppe mit Fleischbeilage und den obligatorischen Sweet Tea. In den Gesprächen erfahren wir, dass Limas Geschwister geflohen sind, als er 5 Jahre alt war. Vor 25 Jahren ging das wohl noch. Heute kommt man kaum noch über die Grenze. Sie studieren im Ausland und stehen wohl noch in Kontakt. Was für eine traurige Vorstellung, dass man seine eigenen Geschwister wahrscheinlich nie wieder sehen wird.
Auf dem Rückweg decken wir uns noch mit Kuchen und Brötchen aus einer kleinen Bäckerei ein. Zum Einschlafen gibt es eine chinesische Datingshow, bei der alles mit einem unschuldigen WeChat-Chat beginnt, über Dreier-Dates geht und dann bei der großen Liebe endet. Gute Nacht!
Meine Ausgaben heute: Was kostet Tibet?
- Mittag: Reis mit Paprikagemüse für 2,63 €
- Abends: Nudelsuppe für 1,97 €
- 1 Liter Wasser: 0,50 €
- Kuchen für unterwegs: 0,79 €